Wie sozial ist liberale Politik? Ein Diskussionsabend der LHG Tübingen

  • 10.02.2015

von Andreas Wolkenstein

Liberale gelten nicht gerade als Freunde der Sozialpolitik. Sie werden von ihren Mitstreitern oft als “Raubtierkapitalisten” bezeichnet, ihre Politik mit dem Attribut der “sozialen Kälte” belegt. Das mag nun an der Politik liegen, wie sie in der Vergangenheit von liberalen Politikern betrieben wurde, oder lediglich der Klassifizierung und Abwertung des politischen Gegners dienen. Die rund 50 Gäste, die sich an diesem Abend im vergangenen Januar im Tübinger Schlosscafé einfanden, erwartete hingegen eine etwas grundlegendere Frage: Was bedeutet es eigentlich, wenn eine Politik sozial ist – und muss sie es überhaupt sein?

SozialBild3Die LHG Tübingen hatte zur Diskussion zwischen Clemens Schneider (Berlin) und Christopher Gohl (Tübingen) eingeladen. Schneider schreibt seine Dissertation über die ideengeschichtliche Einordnung des liberalen Historikers Lord Acton und ist neben seiner weitreichenden publizistischen Tätigkeit Mitgründer des jüngst an den Start gegangenen Think Tanks Prometheus-Institut (mit Frank Schäffler). Gohl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Weltethos-Institut und daneben kommissarischer Ombudsmann der Freien Demokraten. Er ist überdies Architekt der Karlsruher Freiheitsthesen, dem Grundsatzprogramm der FDP, das er zusammen mit dem damaligen Generalsekretär Christian Lindner in einem parteiweiten Beteiligungsprozess erarbeitet hat.

SozialBild2Die Diskussion über liberale soziale Politik, so stellte Moderator Andreas Wolkenstein (Tübingen) heraus, sollte dabei zwischen Sozialpolitik im engeren Sinne und sozialer Politik als übergreifendem Leitbild liberalen Politiktreibens unterscheiden. Soziale Politik beziehe sich dabei auf die Idee, dass durch die politische Gestaltung unseres gemeinsamen Lebens jeder einzelnen und gerade die Armen profitieren sollen. Die beiden Referenten hatten unterschiedliche Maßnahmen im Angebot, wie dieser Zustand erreicht werden kann und was soziale Politik eigentlich bedeutet.

Schneider wies darauf hin, dass ein Verständnis von „sozial“ als primär den Umverteilungsstaat meinend zu erheblichen Problemen führe: so würde Umverteilung gerade zu neuen Abhängigkeiten führen, zumal in den meisten Fällen auch gar nicht zu den wirklich Bedürftigen verteilt werde. Insgesamt, so Schneider, widerspreche ein Abhängigkeiten-schaffendes System der Würde des Menschen als aktivem, handelnden Wesen. Gohl formulierte demgegenüber Überlegungen zu einer integrativen Sichtweise. Soziale Politik als gerechte Politik würde dabei auf die Beziehung der Menschen zueinander achten und diese fördern. Elemente einer solche politischen Ordnung seien der Rechtsstaat und die Bürgerdemokratie.

SozialBild1Die Debatte zwischen den Referenten, aber auch mit dem Publikum, machte das Verständnis von Gerechtigkeit, die praktische Umsetzbarkeit sowie die konkreten Auswirkungen, etwa im Bildungsbereich, zum Thema. Dabei zeigte sich durchaus Übereinstimmung in manchen Fragen, wie etwa einer positiven Rolle eingeschränkten sozialstaatlichen Handelns oder der kosmopolitischen Ausrichtung sozialen Denkens. Gleichwohl musste am Ende der Diskussion einiges offen bleiben. So warf denn auch Moderator Wolkenstein die Frage auf, ob man nicht mehr noch die positive, emanzipierende Rolle liberalisierender Politik gerade für diejenigen in der Gesellschaft thematisieren müsse, denen es am Schlechtesten ginge. Dies müsse, wie er am Beispiel verschiedener Regulierungen der jüngsten Vergangenheit deutlich machte, zu der Einsicht führen, dass liberale Politik eben gerade nicht Raubtierkapitalismus ist, sondern das Soziale als Herzensangelegenheit betrachte.

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