Liberalismus

Was ist eigentlich liberal? 

Wer Politik macht, muss Rechenschaft von seinem Menschenbild ablegen können. Das liberale Menschenbild geht von zwei Grundkonstanten aus: Eigenverantwortung und Individualität.

Verschiedene Verständnisse von “Freiheit”

Untrennbar mit Eigenverantwortung verknüpft ist Freiheit. Denn nur wenn es Entscheidungsmöglichkeiten gibt, für die der einzelne die Verantwortung trägt, ist er auch frei. Freiheit bedeutet die weitestgehende Selbstbestimmung des Individuums in allen Lebensbereichen. Die meisten Strömungen des Liberalismus fordern, dass diese Freiheit auch tatsächlich gelebt werden kann und nicht nur theoretisch existiert. Das erzwingt gewisse Rahmenbedingungen, wie z.B. die Verwirklichung von Menschen- und Bürgerrechten, aber auch die soziale Chance zur Wahrnehmung dieser Rechte. Der soziale Liberalismus setzt bei letzterem seinen Schwerpunkt und fordert den Staat in besonderer Weise als Garanten dieses Rahmens.

So genannte libertäre Strömungen (unkorrekt auch als „Neoliberalismus“ bezeichnet) versuchen dagegen, das Prinzip der Freiheit (auch und gerade von staatlichen Regulierungen, welche Ungleichheiten abbauen sollen) in Reinstform durchzusetzen. Aus Sicht der LHG Konstanz enden libertäre Positionen konsequent in Anarchie (griechisch αρχη – Herrschaft, Reich, Amt – An-archie bedeutet also in etwa: Abwesenheit von Herrschaft). Denn sie sind nur realisierbar, wenn alle Individuen sich als Gleiche mit gleichen Chancen und Möglichkeiten begegnen und insbesondere ihre Konflikte selbst lösen können. Wir halten das für eine Utopie, und es passt auch nicht mit der anderen Grundkonstante des Liberalismus zusammen, der Individualität: Menschen sind verschieden, sie sind auch unterschiedlich stark, und sie werden es immer sein. Wir lehnen deshalb libertäre Positionen ab. Gleiches gilt übrigens für einen sozialistischen Ausgangspunkt: Denn auch der Sozialismus setzt etwas voraus, was es – jedenfalls in großen Zusammenhängen – nicht gibt: Dass alle Menschen sich ausschließlich um die Gemeinschaft bemühen, und niemand nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist.

Soziale und Ökologische Verantwortung

Die Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenze an der Freiheit der anderen. Deshalb gehört zum Liberalismus stets die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen. Die feine Grenze zum Sozialismus liegt darin, dass (wirtschaftliche) Gleichheit nicht als Ziel von allem, sondern Chancengleichheit als Ausgangspunkt von allem verstanden wird. 

Die Freiheit des Einzelnen hat aber noch eine weitere Grenze: Die Freiheit zukünftiger Generationen. Deshalb ist eine ökologisch verantwortliche Wirtschaft eigentlich eine urliberale Forderung. Leider tritt das im politischen Tagesgeschehen zu oft in den Hintergrund. Umgekehrt greift aus unserer Sicht eine Politik, die alles an ökologischen Maßstäben messen will, aber zu kurz.

Pluralismus als liberale Forderung

Liberalismus ist nicht nur ein politisches Konzept, sondern auch ein Lebensgefühl und eine Orientierung für Denken und Handeln. Liberalismus kann nur gedeihen in einer offenen Gesellschaft, die von produktivem Streit lebt. Wir wollen Konflikte nicht leugnen, sondern fair austragen. Eine pluralistische Gesellschaft, Toleranz, Miteinander und Achtung der Menschenwürde gehören zum Kernbestand eines liberalen Gesellschaftsverständnisses. Insofern ist das deutsche Grundgesetz ein sehr liberales Dokument.

Im Übrigen, und das ist sicher ein gutes Abgrenzungskriterium z.B. zu einer christdemokratischen Grundhaltung, aus der ja auch Gedanken wie Toleranz oder Menschenwürde hergeleitet werden können: Der Liberalismus ist an sich wertneutral. Jeder Mensch soll nach seinen Vorstellungen und Zielen sein Leben frei gestalten können. Verbote oder auch nur die staatliche Diskriminierung von Parteien, Publikationen, Veranstaltungen, Kopftüchern, „Homo-Ehen“ usw. sind einige Beispiele für politische Vorhaben, die mit einem richtig verstandenen Liberalismus eigentlich nicht zu machen sind. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Liberale treten dafür ein, dass soziale Bindungen selbst bestimmt eingegangen werden können und nicht von Traditionen, ökonomischem oder sozialem Druck motiviert werden. Werte sind nicht planbar, eine uniforme Gesellschaft wollen wir nicht. Abweichende Meinungen und die Vorstellungen von Minderheiten haben sich oft als Wurzel von gesellschaftlichem Fortschritt erwiesen. 

Liberalismus und der Staat

Vom Prinzip her beginnt und endet die Aufgabe des Staates aus liberaler Sicht mit der Schaffung eines Rechtssystems, welches Freiheit ermöglicht und schützt. Leider kann aber ein komplexes Gebilde wie die Bundesrepublik nicht ohne einen minimalen Wertekonsens auskommen. Dazu gehört die Ächtung von Gewalt. Ein Staat kann nicht warten, bis Gewalt geübt wird, er muss sie im Vorfeld verhindern, und das geht manchmal nicht anders als durch Verbote. Hier entstehen Spannungen zwischen liberalen Grundhaltungen und schlichten Sachzwängen, die wirklich liberal gesinnten Menschen Kopfzerbrechen bereiten. Unterschiedliche Strömungen des Liberalismus beantworten diese Fragen unterschiedlich, die meisten sind sich aber einig, dass der Staat in einigen Punkten seine Neutralität aufgeben und eine tolerante und gleichberechtigte Gesellschaft aktiv fördern soll. Sein Ziel muss insbesondere die Solidarität mit Schwächeren sein. 

Die Haltung des Liberalismus zu Unternehmen,Parteien und Interessenverbäden

Wenn Liberalismus mit Wirtschaftsfreundlichkeit gleichgesetzt wird, wird dabei oft eines vergessen: Zwar profitiert der Mensch von der Einbindung in größere Organisationen (sozial wie auch durch den Wohlstand, den Unternehmen schaffen), ist durch sie aber auch mit dem Verlust seiner Individualität bedroht. Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern für alle größeren Zusammenschlüsse von Menschen. Die Rolle der Großorganisationen in Staat und Gesellschaft ist daher stets kritisch zu überprüfen. Trotzdem ist es legitim, wenn sich z.B. in Parteien, Wirtschaftsverbänden oder Gewerkschaften Interessen – auch ökonomische – bündeln, solange diese Vereinigungen ihre gesellschaftliche Verantwortung annehmen. Denn nur so werden Meinungen hörbar, und nur dann kann Diskurs stattfinden. 

Politisch gesehen ist der Liberalismus Bestandteil des Programms der meisten Parteien. Die Mitglieder der LHG sind deshalb nicht gezwungen, sich auf eine politische Linie festzulegen. In der Tat sind sie oft zusätzlich Mitglieder von unterschiedlichen Parteien. Wir vertrauen darauf, dass diese Freiheit zu einer größeren Vielfalt von gut vertretenen Standpunkten führt. 

Nach alledem ist der Liberalismus eine Geisteshaltung, die gut mit dem Slogan zusammenpasst, den Willy Brandt sich einst ausdachte, und den wir für diesen Wahlkampf aufgegriffen haben:

Mehr Demokratie wagen!
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