Vortragsabend zur Präimplantationsdiagnostik

  • 30.07.2010

plakat-pid.jpgNach der Selbstanzeige eines Berliner Fortpflanzungsmediziners hat der Bundesgerichtshof im Juli diesen Jahres ein unerwartetes Urteil gesprochen, wonach es sich bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) nicht um einen Verstoß gegen das Emryonenschutzgesetz handle, soweit keine „totipotenten“ Zellen untersucht werden, also Zellen, die je für sich die Fähigkeit haben, sich zu einem ganzen Menschen zu entwickeln, und sofern die PID nur zur Ermittlung von „schweren“ genetischen Schäden eingesetzt wird. Hieran anknüpfend lud die LHG Heidelberg am 27.07. im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Facetten der Freiheit“ zu einer Podiumsdiskussion mit Professor Dr. med. Claus Bartram (Institut für Humangenetik, Universität Heidelberg) und Professor Dr. jur. Jochen Taupitz (Institut für Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim) ins Neuenheimer Feld ein.

Nach einer kurzen, auch für Nicht-Mediziner verständlichen, methodischen Einführung durch den Humangenetiker Prof. Bartram, skizzierten beide Professoren aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektive die medizinethischen, rechtlichen und ökonomischen Aspekte der PID. Hierbei ergänzten sich Prof. Bartram und Prof. Taupitz weitestgehend harmonisch und gingen entgegen den Erwartungen des einen oder anderen Besuchers der Veranstaltung in den wichtigsten Punkten d’accord. 

Vor dem aktuellen Urteil des BGH musste die Schwangerschaft nach In-vitro-Fertilisation zunächst „auf Probe“ herbeigeführt werden, bevor mittels Pränataldiagnostik auf mögliche Schäden des Embryos hin untersucht werden konnte. Wurden gravierende Veränderungen im Erbgut festgestellt, bestand die Option der Abtreibung, die seit den 70ern, sofern keine medizinisch-soziale oder kriminologische Indikation gegeben ist, zwar als rechtswidrig angesehen, jedoch nicht bestraft wird.Die PID bietet nun die Möglichkeit, Frauen die Strapazen einer solchen „Schwangerschaft auf Probe“ zu ersparen. 

Schätzungen gehen davon aus, dass in der Bundesrepublik circa 500 Fälle pro Jahr für die PID auf monogenetische Erbkrankheiten in Frage kämen. Würde man sie hingegen routinemäßig zum genetischen Screening aller künstlichen Befruchtungen   einsetzen, könnte man von 40.000 oder mehr Fällen ausgehen.Da das Embryonenschutzgesetz die PID nach der Entscheidung des BGH nicht verbietet, sofern pluripotente Trophoblastzellen auf „schwere genetische Schäden“ hin untersucht werden, stellt sich die Frage, wann eine genetische Schädigung in diesem Sinne ausreichend „schwer“ ist. Prof. Taupitz stellte klar, dass hier ein dringender Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers bestehe. Auch die Ärzteschaft trage Verantwortung daran, möglichst zeitnah einheitliche Richtlinien zu definieren.     

Beide Wissenschaftler waren sich einig, dass die PID kein Freibrief für das Schaffen von Designer-Babies sein sollte. Es müssten enge Grenzen gesetzt werden. So habe der Bundesgerichtshof zu Recht festgestellt, dass beispielsweise die Geschlechtswahl, wie sie u.a. in den USA praktiziert wird, strafbar sei. Ausnahmsweise müsse etwas anderes dann gelten, wenn es um geschlechtsgebundene Erbkrankheiten wie etwa die Duchennesche Muskeldystrophie gehe.  Eine mögliche Regelung könnte darin bestehen, Listen aufzustellen, die genau festlegen, nach welchen Krankheiten bei der PID gesucht werden dürfe. Allerdings sprach sich Prof. Bartram  gegen diese Lösung aus; Man befinde sich auf sehr schwierigem medizinethischen Terrain, wenn man darüber entscheiden müsse, welche Krankheit auf einer solchen Liste erscheinen sollte. Seiner Meinung nach sollte dies eine individuelle Entscheidung nach adäquater Beratung bleiben. In der anschließenden Diskussion stellten sich die beiden Professoren den kritischen Fragen des Publikums.  

Auf die Frage, wie beispielsweise das Risiko einer Schädigung durch die PID eingestuft werden müsse, entgegnete Prof. Bartram, dass es um ein Vielfaches geringer sei als das Auftreten von erblichen Schäden. Auch wies er darauf hin, dass es derzeit – so kurz nach dem Urteil – kaum ein Zentrum in Deutschland gebe, das eine PID durchführen würde.Prof. Taupitz erklärte darüber hinaus, dass es rechtlich noch sehr viele Unklarheiten aus dem Weg zu räumen gelte. Beispielweise sei nicht geklärt, wie etwa damit umgegangen werden sollte, wenn Frauen, die trotz PID geschädigte Kinder zur Welt brächten, Schadensersatz einklagten. 

Es wurde an diesem Abend deutlich, dass durch das Urteil des Bundesgerichtshofes ein sehr weites Feld eröffnet wurde, dessen Grenzen in Zukunft erst noch gesteckt werden müssen.  

Ganz herzlich möchten wir uns an dieser Stelle bei den beiden Diskutanten Prof. Bartram und Prof. Taupitz für ihr sachkundiges Engagement bedanken. Dass ihr Wissen gesellschaftlich sehr gefragt ist, zeigte sich nicht zuletzt an den zahlreichen Besuchern, die trotz des Semesterendes der Podiumsdiskussion beiwohnten. Ein besonderes Geschick sei außerdem dem stellvertretenden LHG-Vorsitzenden Karsten Heil attestiert, dem es gelungen ist, die Anwesenden souverän durch den Abend zu führen.

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